Radiokult

Wann immer ich in England die Familie besuche, stelle ich fest, dass dort zu Hause permanent das Radio läuft. Ich habe den Eindruck, die Briten sind besessen vom Radiohören. Aber ist da wirklich was dran? Drei Thesen zum deutschen und englischen Radiokonsum.

These 1: Die Briten hören mehr Radio als die Deutschen.

Stimmt nicht. Die Zahlen verblüfften mich. Wie man auf der Webseite der Radiozentrale verfolgen kann, hören seit Jahren konstant gut drei Viertel aller Deutschen im Alter über 10 Jahre täglich Radio, und zwar im Durchschnitt 189 Minuten pro Kopf.

Die entsprechenden von der britischen RAJAR erhobenen Daten sind zwar nicht direkt vergleichbar, da hier nach Radiohören pro Woche gefragt wird (90 % der über 15-Jährigen). Die durchschnittliche Hördauer beträgt jedoch derzeit in UK rund 21 Stunden pro Woche, liegt also mit etwa 3 Stunden täglich sogar knapp unter dem deutschen Durchschnitt.

These 2: Das britische Radioprogramm ist abwechslungsreicher als das deutsche.

Nun, hierzu gibt es selbstredend keine belastbaren Daten. Schaltet man jedoch die großen regionalen Sender wie SWR 3 und WDR 2 ein, so drängt sich der Eindruck auf, dass die deutsche Radiolandschaft sich nicht gerade durch Abwechslung auszeichnet. Gespielt wird, so scheint es, jeden Morgen dasselbe Musikprogramm: gefühlt vier oder fünf Hits aus den Charts, die sich nachgerade stündlich wiederholen, und ansonsten nur The Pet Shop Boys und Dido.

Einst war ich großer Jazzradio-Berlin-Fan. Während ich beim Einzug meine Altbauwohnung in Tiergarten strich, divertierte mich der Sender den ganzen Tag. Ich war begeistert von einem wilden Ritt durch Stile und Epochen. Doch selbst Jazzradio Berlin spielt mittlerweile vorwiegend Hammond-Orgel-Easy-Listening.

Nach einer bisher vergeblichen Suche nach einem Sender, der gute Musik mit interessanten Wortbeiträgen abwechselt und ansprechend präsentiert, habe ich also resigniert und höre hauptsächlich Radio aus England. Hier gibt es mehr Auswahl. BBC Radio 2 wartet zum Beispiel mit einer nette solchen Mischung auf. BBC Radio 4 bietet kaum Musik, dafür aber niveauvolle Comedy-Sendungen (The Now Show), ein Radio-Äquivalent von FrauTV (Woman’s Hour) und Talksendungen mit verschiedensten Facetten (Desert Island Discs). Überdies werden viele BBC-Radiosendungen von bekannten Fernsehmoderatoren präsentiert. Man hat das Gefühl, die Radiolandschaft ist lebendiger als hier in Deutschland.

Die Frage ist, geben sich die Deutschen mangels Alternativen mit einem Mainstream-Berieselungsprogramm zufrieden oder hören sie so viel Radio, weil ihnen das Angebot tatsächlich gefällt?

Den Versuch einer Antwort liefert Ulrich Stock auf ZEIT ONLINE mit einem auch heute noch aktuell wirkenden Artikel aus dem Jahr 2007, der passend Rettet das Radio heißt. Dort wird man auch mit neuen Ideen gefüttert, wo’s noch Gutes zu Hören gibt.

These 3: Radio-Hörspiele sind im Vereinigten Königreich beliebter als hierzulande.

Über Anteil und Beliebtheit von Radiospielen konnte ich leider nichts in Erfahrung bringen. Mir scheint, dass sie im öffentlich-rechtlichen britischen Radioprogramm einen hohen Stellenwert haben. Die Hörspielserie The Archers beispielsweise läuft auf BBC Radio 4 seit 1950, mit aktuell unglaublichen mehr als 17.500 Folgen. In Deutschland hingegen findet man Radiospiele kaum.

Radio 4 ist übrigens für ein weiteres Phänomen bekannt: den Seewetterbericht (The Shipping Forecast). Dieser hat durch die repetitive Aneinanderreihung von Orten, die viele Hörer als meditativ bezeichnen, absoluten Kultstatus inne und ist aus der britischen Radiolandschaft nicht wegzudenken. (Mehr dazu auf Wikipedia.)

Nächste Woche sehen wir uns ein kleines Wörtchen näher an.

Der Pommes-Buddha sagt: Die Radiologie ist eine oft unterschätzte Wissenschaft.

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