Ich werde nie vergessen, wie ich das erste Mal in Australien in einen Bus stieg. Ich war Mitte Zwanzig, hatte in den Studiengängen Dolmetschen und Übersetzen Englisch studiert und schon einige Zeit als Übersetzerin gearbeitet. Man könnte sagen, ich war des Englischen mächtig. Als ich mich nach dem Fahrpreis erkundigte, hörte ich nur „tawhydee“. Das musste eine Zahl sein. Aber welche?
Dialekte stellen nicht nur Touristen und diejenigen, die ohnehin nicht firm in einer Sprache sind, regelmäßig vor große Herausforderungen, sondern auch Sprachprofis.
Es gibt Akzente, die einem nicht liegen. Indisches Englisch zum Beispiel kann eine große Herausforderung sein. Zum Glück arbeitet man als Dolmetscher immer zu zweit. Dies dient nicht nur der körperlich-geistigen Regeneration, sondern stellt auch sicher, dass in Notsituationen einer für den anderen einspringen kann.
Doch nicht nur native Akzente bereiten Probleme. Gerade das oft unterschätzte Englische wird bei internationalen Veranstaltungen gerne als Lingua franca genutzt und somit häufig von Nicht-Muttersprachlern gesprochen. Dabei wird angenommen, es vereinfache die Kommunikation, wenn alle dieselbe Sprache sprechen, doch nicht selten ist das Gegenteil der Fall. Konfrontiert mit so manch deutschem Akzent oder Satzbau verstehen all diejenigen, die des Deutschen nicht mächtig sind, dann nichts mehr – einschließlich Englisch-Muttersprachlern.
Aber was macht man als Dolmetscher, wenn man kein Wort versteht? In Dolmetscherkreisen kursiert der urbane Mythos über einen Kollegen, der einst eine englische Tischrede eines chinesischen Delegierten zu dolmetschen hatte. Der Redner begann zu sprechen, und schnell wurde klar, dass er kein Wort Englisch konnte und versuchte, die Rede phonetisch abzulesen. Die Anwesenden schauten sich betreten an. Niemand verstand auch nur ein Wort. Dann war der Dolmetscher an der Reihe. Er stellte sich vor die Gruppe und hielt eine beeindruckende Rede über die deutsch-chinesischen Handelsbeziehungen. Am Ende gab es Applaus und Dank und alle waren zufrieden. In einem ruhigen Moment kam einer der höherrangigen Delegierten der deutschen Seite auf den Dolmetscher zu und beglückwünschte ihn zu seiner Leistung – er selbst habe kein Wort verstanden und es sei ihm ein Rätsel, wie dies dem Dolmetscher gelungen sei. Was niemand ahnte, war, dass der Dolmetscher auch kein Wort verstanden hatte. Er hatte auf sein durch Vorbereitung und Erfahrung erworbenes kulturelles und politisches Hintergrundwissen zurückgegriffen und schlicht improvisiert, um den chinesischen Delegierten nicht bloßzustellen.
Zum Glück kommt es äußerst selten vor, dass wir als Dolmetscher nichts verstehen. Zum Einen beugen wir vor, indem wir unser Ohr gern und täglich an immer neue Akzente und Dialekte gewöhnen. Zum Anderen ist es nicht unbedingt notwendig, jedes einzelne Wort zu verstehen, da man mit der Zeit lernt, vortrefflich zu antizipieren. Oft genug weiß man also schon vor der Rednerin selbst, was diese sagen wird, und kann vermeintliche Lücken recht gut füllen.
Zurück zu „tawhydee“. Am ehesten konnte ich mir vorstellen, dass es twenty hieß. Aber zwanzig Dollar war zu viel. Vielleicht zwei Dollar zwanzig? Die legte ich hin. Die Busfahrerin schaute mich immer noch wie versteinert an und wiederholte: „Tawhydee!“ Also legte ich noch einen Dollar dazu. Ich bekam zwanzig Cent zurück. Ah! Two-eighty! Zwei Dollar achtzig!
Und hier findet Ihr eine schöne Auswahl britischer Akzente zum Üben: http://www.weloveaccents.co.uk/.
Nächste Woche geht’s um ein deutsches Phänomen.
Der Pommes-Buddha sagt: Gut präpariert ist halb verstanden.