Wo ist die Gurke?

Neulich hatte ich mal wieder ein Synchron-Erlebnis der dritten Art. Ich sah mir im WDR die erste Folge der Serie Cucumber an (Spoiler-Alarm!). (Ja, wie schon letztes Mal erwähnt: Ich bin in der digitalen Steinzeit aufgewachsen und schaue oft ganz gewöhnliches Fernsehen. Freddy würde hierzu sagen: „That’s so 35-years-old!“) Der Trailer hatte mich neugierig gemacht. Aber da die Serie auf Deutsch synchronisiert war, fehlten mir grundlegende Informationen.

Zu Beginn geht ein Mann etwa mittleren Alters durch einen Supermarkt. Aus dem Off hört man seine Stimme. Aus dem Trailer wusste ich, dass die Serie synchronisiert ist, und nahm an, es handele sich um eine US-amerikanische Serie. Hätte ich diese Off-Stimme gleich im Original gehört, hätte ich gewusst, dass es eine britische Serie ist.

Gut, diese Information kann sich die aufmerksame Zuschauerin dann kurz später zusammenreimen, da sie bald britische Straßenzüge (enge Straßen, britische Verkehrszeichen, gelbe Linien am Straßenrand etc.) erspäht. Da fragte ich mich dann, mangels unmissverständlich zuordenbarer Bauwerke, ob die Serie wohl in London spielt. Dies hätte sich gegebenenfalls ebenso durch eine Kumulation entsprechender regionaler Sprachakzente erkennen lassen.

Nach etwa einer halben Stunde wird über Daniel, den neuen Kollegen einer der Hauptfiguren, Lance, gesagt, er sei „moved up here from London“. Hm. Also nicht London. Kurz darauf wird dann Manchester erwähnt – eine Stadt, deren Akzent für Geübte recht eindeutig erkennbar ist.

Verblüffend, dachte ich mir, wie viel doch in ein paar kleinen originalen englischen Sätzen liegen kann. Insbesondere, da in der gesprochenen britischen Sprache die Regionalität sehr stark ausgeprägt ist und in britischen TV-Produktionen oft eine wichtige dramaturgische Rolle spielt. Auch erinnere ich mich, dass es früher bei deutschen Synchronisationen üblich war, die mit dieser Regionalität verknüpften Assoziationen durch eine ähnliche entsprechende Färbung in der Zielsprache hervorzurufen. Beispielsweise hat der Texaner Major Kong in der deutschen Fassung von Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb einen ruhrdeutschen Akzent. (Mehr über den Umgang mit Ruhrpottlern und deren Sprache findet Ihr hier: http://www.ruhrgebietssprache.de/.)

Um mich nicht des Sprecher-Bashings schuldig zu machen, ist es mir ganz grundsätzlich übrigens ein Anliegen, einmal zu erwähnen, dass es nicht die deutschen Stimmen als solche sind, die die Synchronisation zu einer Zumutung machen. Viele Sprecher leisten ganz wunderbare Arbeit und bemühen sich, der jeweiligen Figur Leben einzuhauchen. Mich stört vielmehr die künstliche Distanz, die durch die Synchronisation selbst, ungeachtet ihrer Qualität, geschaffen wird. Mehr zum Thema schrieb ich bereits in „An mein Ohr kommt nur Wasser und O-Ton“ und in „Magnum in distress“.

Ich begrüße daher die Initiative einiger Sender, einige englischsprachige Serien und Shows im Original mit Untertiteln zu zeigen. Besonders lobend erwähnt sei in diesem Zusammenhang die großartige Tonight Show mit Jimmy Fallon, die der TV-Sender „One“ (ehemals „Einsfestival“) tagesaktuell mit deutschen Untertiteln zeigt, vor denen man nur den Hut ziehen kann! (Leonie and colleagues, you rock!)

Wie dem auch sei: Mein englischer Ehemann und ich besorgten uns dann jedenfalls Cucumber auf Englisch und waren, kurz gesagt, begeistert! Ein unkonventionelles Setting in der LGBT-Szene von Manchester, eine Erzählung mit stilsicheren Pointen, in der sich dennoch jeder wiederfindet und eine Besetzung, die wie Arsch auf Eimer passt, machen dieses Juwel der britischen Fernsehwelt zu einem herausragenden Comedy-Drama. Cucumber sei jeder ans Herz gelegt, die jenseits der Vorstadtidyllen-Unterhaltung die eigenen Vorstellungen aus einem inspirierenden Blickwinkel unter die Lupe nehmen und mal wieder so richtig lachen (und ein wenig weinen) möchte.

Wer sich übrigens manchmal fragt, wer eigentlich die deutsche Stimme von … ist, wird hier sicher fündig: https://www.synchronkartei.de.

Der Pommes-Buddha sagt: Gurke mit Untertiteln – ein Gedicht!

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